12 Punkte
zum Zen
von
Taiso Toku Ho
1. Den Weg üben
Den Zen-Weg üben bedeutet in erster Linie Zazen-Praxis, das Sitzen im Halb-Lotus
oder Voll-Lotus, das ruhige, konzentrierte Ein- und Ausatmen. Basis der Übung
sind die fünf Vorschriften: Nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen,
nicht pervers sein und sich nicht berauschen. "Ohne friedlichen Geist ist
Zazen kein Zazen", sagte der japanische Zen-Meister Kodo Sawaki (1880-1965).
2. Einen geeigneten Lehrer wählen
Es ist wichtig von einem "geeigneten" Lehrer unterwiesen zu werden.
Nicht jeder der sich Zen-Mönch oder jede die sich Zen-Nonne nennt ist -
wie billig - fähig Zen zu lehren.
Es gibt viele, die sich als "Wissende" aufspielen und keine Ahnung
vom Buddha-Dharma haben. Diese Leute sind schlimmer als Hundedreck. Sie schaden
nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Schülern. (Die Geisteswissenschaften,
insbesondere die Psychologie, und die Naturwissenschaften haben viele Erklärungen
und Erklärungsansätze für dieses Verhalten. Im Buddhismus bezeichnet
man solcherlei Gebaren als Vermessenheit. Das ist Gegenteil von dem was Buddha
lehrt.)
Verwendet grosse Sorgfalt bei der Wahl des Lehrers, wenn ihr euch unterweisen
lassen wollt. Und habt ihr euch einmal entschieden, akzeptiert auch die Seiten
des Meisters, die euch nicht so behagen und lauft nicht gleich weg, wenn es
einmal schwierig wird. Selbst der Meister ist noch Schüler - und manchmal
ist sogar der Schüler Meister, was aber im Zen eher die Ausnahme ist.
Allen die den Zen-Weg gehen wollen sollte klar sein, dass Zen kein Wohlfühlyoga
ist, obwohl es uns natürlich zu einem guten Allgemeinbefinden führt,
da Körper und Geist trainiert werden. Vergleiche ich meine damalige körperliche
und geistige Verfassung, also bevor ich mit Zazen anfing, mit meiner jetzigen,
so erlebe ich die heutige als besser. Das ist der unmittelbare Beweis für
die positive Auswirkung von Zazen. Zen ist eine Lebenshaltung.
Zen, Zazen (ein fähiger Meister) formt dich zu einem selbstbewussten, natürlichen
Menschen bezogen auf deine ureigenen Möglichkeiten.
3. Nicht-Denken
Die Möglichkeiten die uns das "Denken" eröffnet, werden
vielfach überschätzt. Eine Heuschrecke macht einen Satz, landet und
verkündet den Artgenossen: "Ich habe das Weltall erforscht."
Die Zen-Praxis beruht auf "Nicht-Denken" welches das
"Denken" im herkömmlichen Sinn inbegriffen sieht. "Nicht-Denken"
ist allumfassend und gleichzusetzen mit Satori (Erleuchtung). "Nicht-Denken"
ist immer hier, an diesem aktuellen Ort (Raum), in dieser aktuellen Zeit. Es
ist das permanente Fliessen von einem Moment zum Nächsten, von einem Augenblick
zum Anderen. Auch Stillstand ist "Nicht-Denken". Form und Nicht-Form
gründen ebenfalls im "Nicht-Denken", wenn man sie als Worte betrachtet.
Buddha und Nicht-Buddha, Wahrheit und Nicht-Wahrheit - kurz : alle Gegensatzpaare
sind "Nicht-Denken". "Nicht-Denken" ist die Spitze des höchsten
Berges, "Nicht-Denken" ist die tiefste Tiefe im grossen Ozean - das
gesamte Universum ist "Nicht-Denken". "Nicht-Denken" ist
nicht gleichbedeutend mit dem Anhalten von Denkaktivität oder dem Versuch
die Denktätigkeit oder den Gedankenfluss zu stoppen - man kann de facto
nicht sagen was "Nicht-Denken" ist. Einzig was es nicht ist (...)
"Nicht-Denken" sind die Myriaden Formen der Materie. Diese Worte zum
Beispiel sind gleichermassen "Nicht-Denken". Alle Wesen praktizieren
"Nicht-Denken". Jedoch den Wenigsten ist "Nicht-Denken"
bewusst. Ganz egal, ob bewusst oder unbewusst, gewollt oder nicht gewollt -
"Nicht-Denken" ist der Anfang, das Ende und der Zwischenraum.
Ein Mönch fragte Ho: "Wie praktiziert man ´Nicht-Denken´?"
Ho sagte: "Nicht-Denken".
Frage:
Du hast auf die Frage wie man Nicht-Denken praktizieren könne nur mit einem
Wort geantwortet: "Nicht-Denken". Wie soll man das verstehen?
Antwort:
Es ist in der Tat selbst für sehr intelligente Personen unmöglich
Nicht-Denken via Intellekt zu verstehen - von Dummköpfen ganz zu schweigen.
Was mit Nicht-Denken praktizieren gemeint ist, kann nur durch die Zazen-Übung
(Shikantaza) erfahren werden. In der Übung wird es offenbar. Die es erfahren
haben wissen, dass Nicht-Denken sich jeglicher Beschreibung entzieht. Darüber
zu diskutieren was Nicht-Denken ist und was nicht, ist reine Zeitverschwendung.
Genausogut könnte man seine Zeit mit dem Zählen von Sandkörnchen
an irgendeinem Strand verbringen - absolut sinnlos.
Praktiziere Zazen unter der Anleitung eines erfahrenen Meisters und das Tor
wird sich von selbst öffnen. Der Eine verwirklicht es in einer kurzen Zeitspanne,
während andere je nach ihren karmischen Voraussetzungen länger benötigen.
Aber mit Ausdauer und Diziplin erlangt es letztendlich jeder. Der alte Buddha
Chao-Chou (778-897) sagte :
"Wenn einer selbst nach zwanzig Jahren Übung den Weg nicht erlangt
hat, könnt ihr meinen Kopf abhacken und eine Reisschale daraus machen."
Wenn ein Zen-Riese wie Chao-Chou so eine Aussage äussert, muss etwas dran
sein. Jemand wie Chao Chou sagt sowas nicht aus Jux und Tollerei, sondern auf
der Grundlage fundierter Zen-Erfahrung. Es ist also ratsam nicht weiter kostbare
Zeit zu verschwenden und Zazen zu üben, damit sich deine Irrtümer,
Ideen und Vorstellungen über das was diese Welt ist und was nicht, lichten.
Durch die korrekte Zazen-Praxis verwirklicht sich Nicht-Denken - du trittst
ein in die spirituelle Welt, die in der Tat etwas Wundervolles ist und sich
doch nicht im Geringsten von genau dieser Welt hier und jetzt unterscheidet.
Jedoch ohne konstante Übung hast du keine Chance und wirst leider weiter
in einem bedauerlichem Zustand verweilen müssen. Übertreibe deine
Übungen aber auch nicht. Der Buddhismus ist der Weg der Mitte, was bedeutet,
dass Extreme weitestgehend vermieden werden sollten. Wenn dein Training aufrichtig
ist, wirst du die daraus erwachsende Haltung automatisch mit hinüber in
den Alltag nehmen.
Solltest du nicht über die körperlichen Voraussetzungen verfügen
Zazen zu praktizieren, besteht auch die Möglichkeit, still für dich
das "Nembutsu" zu rezitieren (Namu Amida Butsu). Der Buddha hat in
seiner grenzenlosen Güte und Mitgefühl mit den leidenden Wesen viele
Varianten ersonnen, Nicht-Denken zu praktizieren und sich somit von den Leiden
erzeugenden Ideen, Vorstellungen und Illusionen zu befreien.
4. Karma
Es ist und war noch nie die Intention des Buddhismus, sich in die aktuelle Tagespolitik
einzumischen. Der Buddha sagt uns was wir tun können, um gegenwärtiges
Leiden zu bewältigen und zukünftiges Leiden an der Enstehung zu hindern.
Unsere gegenwärtige Situation ist das Resultat von uns begangener Handlungen(Karma).
Nicht unser Nachbar oder wer auch immer ist für unsere Situation verantwortlich.
Ich bin es selbst, der verantwortlich ist. Ich bin der Erbe meiner Taten. Viel
einfacher und bequemer ist es die Schuld an unserer vielleicht nicht so guten
Situation bei anderen zu suchen, anstatt sich an die eigene Nase zu fassen.
Gute Taten erzeugen gutes Karma - üble Taten übles Karma.
Das Gesetz des Karma lässt sich nicht verdunkeln und ist an für sich
unkompliziert: Tue nichts Böses und dir wird nichts Böses widerfahren.
Wenn du nicht willst, dass man dir ein blaues Auge schlägt, ist es besser
dem Anderen auch kein Veilchen zu verpassen. Wenn du nicht gerne verarscht werden
möchtest, empfehle ich dir andere nicht zu verarschen. Wenn du hingegen
gerne zum Narren gehalten werden möchtest, solltest du andere zum Narren
halten. Wenn du nicht gerne belogen werden möchtest, ist es besser andere
nicht zu belügen. Wenn du hingegen gerne belogen werden möchtest,
solltest du andere belügen, bis sich die Balken biegen. Das hört sich
zynisch an, aber manchmal muß man auch solche Mittel einsetzen - einfach
um die Dinge klarer darzustellen.
Tue Gutes und du wirst die entsprechenden Früchte ernten. Es ist alles
eine Frage der Zeit. Die Mechanik des Karma ist eisern. Was dir an Üblem
widerfährt, ist das Ergebnis früherer Handlungen die weit, weit zurückliegen
können.
Im Buddhismus sagen wir nicht: du sollst dies tun und jenes unterlassen. Es
gibt hier keine Gebote. Du kannst an und für sich tun und lassen was du
willst. Wir sagen sehr wohl: Sei dir darüber im Klaren, dass deine Handlungen
Karma sind und neues Karma, welches sich in der Zukunft manifestiert, erzeugen.
Eine gute Tat erzeugt gutes Karma. Eine üble Tat erzeugt übles Karma
und eine neutrale Tat erzeugt neutrales Karma. Wir betrachten Leiden als willkommene
Gelegenheit zurückliegendes übles Karma zu neutralisieren. Wir versuchen
nicht vor Leiden zu fliehen.
Wir werden geboren und müssen in den Sarg, wenn unsere Zeit abgelaufen
ist. Das ist die Grundtatsache unseres Lebens. Das ist das Schicksal von jedem
Lebewesen. Ich habe bis heute noch von keinem Mensch gehört, dem es anders
ergangen wäre. Alles ist vergänglich, nichts ist von Dauer.
Wir können unser Leben so gestalten, dass wir üble Handlungen
weitestgehend vermeiden und so zukünftiges übles Karma an der Entstehung
hindern.
Wir sind manchmal sehr kompliziert darüber was "gutes Tun" ist.
Es gibt Situationen in denen "übles Tun" "gutes Tun"
ist und umgekehrt. Es ist unsere innere Haltung, die den Unterschied macht:
Tue ich Übles, um mir persönlich einen eigenen kleinen Vorteil zu
verschaffen? - Es wird mir zum Nachteil gereichen. Oder lüge ich zum Beispiel,
um einer anderen Person nicht zu schaden? Das sind zwei verschiedene Dinge.
Wir sollten immer das Wohl der Anderen im Auge behalten und dabei auch schon
mal unser eigenes Wohlergehen hinten anstellen.
5. "Ich" und "Nicht-Ich"
"Ich" und "Nicht-Ich" sind zwei zentrale Begriffe im Buddhismus.
Buddha sagt uns, dass das, was wir normalerweise als "Ich" oder "Person"
bezeichnen eine Illusion ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass es kein "Ich"
im konventionellen Sinn gibt, sondern es bedeutet zunächst, dass das "Ich"
oder die "Person" keine in sich geschlossene Einheit unabhängig
von allem anderen und somit etwas substanziell Eigenständiges darstellt.
Was ich aber sagen will ist etwas anderes: Jedes vierjährige Kind weiß
heutzutage, dass alles ständig im Wandel begriffen ist von Stunde zu Stunde,
von Minute zu Minute, von Sekunde zu Sekunde, von Zehntelsekunde zu Zehntelsekunde
undsoweiter. So wie das "Ich". Der griechische Philosoph Heraklit
meinte: "Wer in dieselben Flüsse hinabsteigt, dem fließt stets
anderes Wasser zu." Und Bob Dylan singt: "Strike another match go
start a new and its all over now, baby blue."
Also Zen-Studenten pulverisieren ihr vorgestelltes "Ich" (Ego)
mithilfe von Zazen - mit Körper und Geist...
Die Falle hierbei ist - und nicht wenige Weggefährten stecken in dieser
Falle, dass sie nun anstelle des "Ich" ein materialistisches Verständnis
von "Nicht-Ich" bilden, also "Nicht-Ich" handhaben als wäre
d a s etwas Substanzielles. Das ist kein Buddhismus.
Das Gleiche gilt für das Mantra "Hier und Jetzt". Sobald man
irgendeine Vorstellung mit "Hier und Jetzt" verbindet und daran festhält,
also unterscheidet zwischen "Hier und Jetzt" und "Nicht-Hier
und Jetzt", ist es auch schon aus mit "Hier und Jetzt", ist es
"Hier und Jetzt-Abklatsch". Dennoch gehört auch "Hier und
Jetzt-Abklatsch" schon immer zu "Hier und Jetzt", geradeso wie
Erkenntnis und Blindheit untrennbar miteinander verbunden sind, geradeso wie
die zwei Seiten einer Münze.
6. Sex
Wer die Welt nur aus einer bestimmten Perspektive heraus betrachtet und daran
festhält, ist in den Augen von uns Buddhisten verrückt. Es gibt Leute
die sehen die Welt nur durch das Tor des Sex. Sie sind bestimmt nicht frei vom
Haften an der Form, sondern kleben an der Form des geschlechtsbedingten Körpers.
Buddhisten glauben, dass Geist keine bestimmte Form hat. Geist ist weder weiblich
noch männlich ...
7. "Ich bin Buddha"
"Wir sind alle Buddhas". Richtig. Du bist ein Buddha, aber wenn du
den Buddha-Weg nicht übst und dir nur von morgens bis abends vorsagst "Ich
bin Buddha, ich bin Buddha, ich bin Buddha", bringt das überhaupt
nichts. Man muß üben...Üben bedeutet zuallererst Zazen-Praxis,
wie sie in Dogens "Die allumfassende Übung des Weges" erläutert
wird. Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen und Denken werden klar
- "Ich bin Buddha" erstrahlt im wahren Licht.
8. Europäisches Zen
In gewissen Maß stellt "Europäisches Zen" zur Zeit die
Religion von Leuten dar, welche glauben, sie könnten das Höchste erringen,
ohne sich selbst zuvor im geringsten zu ändern oder zu bessern. Was üben
sie, die glauben sie bräuchten sich üble Angewohnheiten und Fehler
nicht abzugewöhnen? Den Buddha-Weg bestimmt nicht. Sie betrügen nur
sich selbst und andere. Kann ein alkoholkranker Mensch genesen ohne das Trinken
aufzugeben?
Das wahre Zen hat hierzulande noch nicht vollständig Einzug gehalten. Aus
dem Kontext genommene Aussagen wie zum Beispiel die von Bodhidharma, der auf
die Frage von Kaiser Wuti was die Essenz des Buddhismus sei, antwortete : "Offene
Weite - Nichts Heiliges", laden auch die Dummköpfe dazu ein, zu sagen
: "Ich bin Zen-Buddhist". Ganz unrecht haben sie nicht. Jedoch sollte
man sie fragen :
Hast du auch schon mal an einem Sesshin (mehrtägige Trainingsperiode) teilgenommen?
Weißt du was Zazen ist? Kannst du auch nur zehn Minuten lang ruhig sitzen,
ohne dich zu bewegen? Weißt du was ein Zafu ist, ein Zafuton?
Sakyamuni Buddha hat sechs Jahre lang in den Bergen meditiert. Du sagst "Ich
bin Buddha". Kannst du auch nur eine Woche meditieren? Oder ist das alles
nur leeres Geschwätz?
Ein Jugendlicher will mal so gut Fußball spielen können wie einst
Michael Ballack, aber er kommt nicht auf Idee zu denken: Ich bin Michael Ballack.
Er weiß, dass es nicht ausreicht sonntags eine Stunde zu kicken, um in
einer höheren Liga zu spielen. Nur ein kompletter Idiot denkt: wenn ich
ab und zu mal trainiere kann ich auch in der Fußball-Bundesliga spielen
- mit meinem Talent...
Indes gibt es viele verdrehte "Erwachsene" die denken "Ich bin
Buddha", ohne jemals auch nur an einem mehrtägigen Sesshin teilgenommen
zu haben.
"Ich bin Buddha " ist nicht nicht hier. Aber ohne Übung kann
es sich nicht offenbaren und bleibt nichts weiter als ein Klischee.
9. Heutzutage und früher. Fragmente
Früher war Zen-Training für mich sehr anstrengend, ja zuweilen qualvoll.
Ich habe nicht wenig gelitten. Eihei Dogen sagte einst : "Von Anfang an
haben wir die angeborene Möglichkeit Erleuchtung zu erlangen, weil wir
von Anfang an Erleuchtung besitzen, das heisst wir sind von Anfang an der ´wahre
Mensch´. Deshalb ist es eigentlich nutzlos, sich zu quälen, um Erleuchtung
zu erreichen. Nichtsdestoweniger ist die Qual selber ein Schritt vorwärts
zur Erleuchtung." Ich habe mir diese Worte sehr zu Herzen genommen. Paradoxie
ist Zen-Leuten kein Fremdwort und im Gedicht lautet es:
Finster wars, der Mond schien helle,
Auf der grünen, schneebedeckten Flur,
Als ein Wagen mit Blitzesschnelle,
Langsam um die Ecke fuhr.
Drinnen saß eine alte Schachtel,
Zählte kaum noch zwanzig Jahr,
Neben ihr ein blonder Jüngling,
Blondgelockt sein schwarzes Haar.
Und der blondgelockte Jüngling
Mit dem rabenschwarzen Haar
Saß auf einer blauen Kiste,
Die schwarz angestrichen war.
Draussen standen viele Leute
Schweigend ins Gespräch vertieft.
Als ein totgeschossner Hase
Rasend durch die Felder lief.
Wenn man sich an Worte klammert, kann man die Wahrheit nicht erfassen.
... heutzutage genieße ich das Leben in der transzendenten Welt, bin weder
von Worten abhängig noch nicht-abhängig.
Es war erhebend für mich eines Tages aufzumerken: Ich bin(lebe) in der
transzendenten Welt. Es hatte lange gedauert. Dass ich nun in der transzendenten
Welt lebe unterscheidet mich von den meisten. Man kennt sich in der transzendenten
Welt. Natürlich habe ich Empfindungen wie alle anderen auch. Ich freue
mich, ärgere mich, mal bin ich traurig, ein anderes Mal froh. Jedoch gibt
es keine Identifikation mit meinen Empfindungen, indem ich etwa denke: ich Toku
Ho leide oder ich Toku Ho bin froh oder ich Toku Ho bin dieses und jenes. Wenn
ich sage: Ich bin dies und das, ist das eine glatte Lüge, weil ich es besser
weiß. Aber im Alltag reden wir einfach so. Und das funktioniert leidlich.
Wir sind sehr ungenau.
In der transzendenten Welt ist man gewissermaßen Zuschauer seiner selbst.
Man hat Distanz zu diesem Wurm Ich. Das Handeln und das Tun (das Jagen und Fliehen,
Kommen und Gehen) vieler in der realen Welt wichtigen und unwichtigen oder sich
wichtig nehmender Personen, erscheint in der transzendenten Welt mitunter geradezu
lächerlich (indes natürlich die spirituelle Fraktion der dekadenten
Fraktion ebenso Anlass zu Gelächter bietet. Oder was sollen die Materialisten
von Leuten denken, die stunden- und tagelang, manchmal wochenlang kerzengerade
vor einer Wand sitzen ohne sich zu bewegen?) Freilich - jedes Handeln,
jedes Tun, jeder Atemzug, jeder Moment, jeder Augenblick erfüllt im kosmischen
Spiel seine ureigene Funktion.
Zen ist für mich heutzutage eine von vielen Blumen in meinem schönen
Geist und ich arbeite beständig weiter an der Kultivierung meines Geistes
jenseits von Buddha und Nicht-Buddha.
Durch Zazen-Praxis kultivieren wir Körper und Geist. Wenn sie Zazen praktizieren
kosmisieren sie Chaos ohne irgendwie Ordnung ins Chaos zu bringen. Man kann
das eine nur buchstäblich vom anderen trennen, nicht wirklich. Kein Kosmos
ohne Chaos. Sie müssen die Gegensätze übersteigen.
10. Was hat Bodhidharma gesehen?
Was hat Bodhidharma gesehen? Diese Frage ist für jeden Zen Schüler
von entscheidender Bedeutung, weil die Antwort die Essenz des Zen beinhaltet.
Bodhidharma, der 28te indische Patriarch ging Ende des sechsten Jahrhunderts
unserer Zeitrechnung von Indien nach China, was in der damaligen Zeit nicht
ungefährlich war. Er führte Zen in China ein. Durch den Kontakt mit
dem chinesischen Boden erhielt Zen die typisch chinesische Prägung personifiziert
durch Zen-Riesen wie Daikan Eno, Joshu, Obaku, Rinzai, Wanshi, Tendo Nyojo(Dogens
Meister), um nur einige zu nennen. Sie und viele Meister nach ihnen haben genau
das gesehen, was Bodhidharma gesehen hat. Was sie gesehen haben ist die Geheime
Lehre des Zen. Die Geheime Lehre des Zen wird von Herz-Geist zu Herz-Geist unabhängig
von den Schriften übermittelt. Auch heute wird die Lehre Bodhidharmas eins
zu eins von Herz-Geist zu Herz-Geist weitergegeben.
Wenn manch alberne Leute in unserer Zeit Meisterwürden erhalten, bedeutet
das nicht automatisch, dass sie an Bodhidharmas erleuchteter Sicht teilhaben.
Erleuchtete Sicht ist unabhängig von Formalitäten.
Die Lehrmethoden der einzelnen Richtungen (Soto, Rinzai, Obaku usw.) unterscheiden
sich voneinander. Das ist auf die Individualität der Individuen, auf deren
Temperament, auf deren Natur zurückzuführen.
Fragt ein Rinzai - Meister beispielsweise einen Schüler: Was hat Bodhidharma
gesehen? und der Schüler antwortet klügelnd "Nichts" und
kommt sich irgendwie schlau dabei vor, lächelt vielleicht auch noch blöd
in sich hinein - dann kann es schon mal passieren, dass der Meister ihm eine
runterhaut. In der Soto-Richtung des Zen-Buddhismus sind wir weniger rabiat.
Hier würde der Lehrer in einem solchen Fall vielleicht sagen: "Du
musst dein Zazen Training intensivieren. Zen ist die Religion des Erwachens,
nicht die des Schlafens." Aber letztendlich erreichen nahezu alle Schüler
mit genügend Ausdauer Bodhidharmas erleuchtete Sicht, die Sicht Buddhas.
Es ist gewiss nicht so, dass die Soto-Richtung "besser" ist als die
Rinzai-Richtung oder umgekehrt die Rinzai-Richtung "besser" als die
Soto-Richtung. Die erleuchtete Sicht eines Rinzai unterscheidet sich nicht von
der eines Dogen. Beide haben gesehen, was Bodhidharma gesehen hat.
Was hat Bodhidharma gesehen? Die Lösung dieses Koans, dieser Frage erfordert
die volle Konzentration und Anstrengung aller aufrichtigen Zen-Studenten.
Es ist auch nicht so, dass die Geheime Lehre Bodhidharma gesehen hat ...
11. Erleuchtet oder nicht
Wenn ihnen ein Licht aufgegangen ist, bilden sie sich nichts darauf ein. Kleben
sie nicht daran. Ruhen sie sich nicht darauf aus.
Erleuchtet oder nicht wir sind alle gewöhnliche Menschen. Tagsüber
sind wir wach und nachts schlafen wir. Wir nehmen Nahrung auf und scheiden die
Reste aus. Einmal sind wir gesund und einmal krank. Letztendlich gehen wir alle
den gleichen Weg: Wir werden geboren und wenn unsere Zeit abgelaufen ist, sterben
wir. Wenn sie jedoch an ihren gewonnenen Erkenntnissen festhalten sind bereits
lebendig tot. Sie leben dann bildlich gesprochen in einer Wolke aus Vorstellungen,
Ideen, Kategorien und Ismen aller Art die ihnen ihr Leben bestenfalls als eine
Posse oder wenn sie ein "Gefühlsmensch" sind, als eine Tragödie
erscheinen lassen. Diese Wolke verdeckt, narkotisiert das wahre Wesen. Sie leben
wie in einem Traum/Alptraum und halten ihre oft selbstgeschaffenen Einbildungen
für Realität.
Üben sie Zazen und dringen sie durch zu ihrem wahren Selbst, welches jenseits
aller sagbaren Vorstellungen und Kategorien ist. Werden sie eins mit der inneren
Gewissheit der Buddhas.
Nun, was ist das wahre Selbst? Sakyamuni Buddha drehte auf dem Geierberg während
einer Versammlung eine Blume in seiner Hand und Mahakasyapa sah und lächelte
und verstand und verwirklichte im selben Augenblick sein wahres Selbst. Tendo
Nyojo, der Meister von Dogen Zenji meinte, dass jemand, der sich ernsthaft entschließt,
sein wahres Selbst zu verwirklichen und letztlich den Buddha-Weg erreicht, einem
Bettelmönch gleicht, der seine Reisschale zerschmettert. Viele weitere
anschauliche Beispiele könnten angeführt werden. Ich sage das wahre
Selbst ist wahrhaft schön jenseits der Kategorien "häßlich
und schön".
12. Das Horn eines Hasen
Im Lankavatara Sutra, das der Legende nach von Bodhidharma (jap.Daruma), dem
ersten Patriarchen des Zen-Buddhismus in China an Huiko (jap.Eka), dem zweiten
Patriarchen weitergegeben wurde, wird das gesamte Sein, (alles was die Augen
sehen, die Ohren hören, die Nase riecht, die Zunge schmeckt und die Haut
fühlt, alles was uns individuell als etwas "Reales" außerhalb
von unserem "Ich" vermittelt wird) mit dem Horn eines Hasen verglichen
oder auch dem Kind einer unfruchtbaren Frau, mithin also als etwas nicht wirklich
Reales, ein Traum/Alptraum, eine Halluzination, eine Fata Mogana.
In der Tat alle Erscheinungsformen, alle Objekte der Wahrnehmung existieren
in Abhängigkeit voneinander. Kein Objekt der Wahrnehmung existiert von
sich aus, durch sich selbst unabhängig als Objekt irgendwo "da draußen".
Wenn sie diese fundamentale Erfahrung noch nicht gemacht haben und sie glauben
die Objekte der Wahrnehmung wären real in dem Sinne, daß sie etwas
Eigenständiges, Unabhängiges seien, dann sitzen sie der Täuschung
auf mit allen daraus entstehenden Problemen.
Erfahren sie durch fortgesetzte Zazen-Übung den unmittelbaren Kontakt mit der realen Realität (Prajña) und erkennen sie, daß die Negation der Subjekt-Objekt-Weltansicht kein Nihilismus oder ein irgend gearteter Negativismus bedeutet. Sie erfahren direkten Kontakt mit der Weisheit (Prañja) die alle Existenzen durchdringt. Sie erwachen. Viele Probleme, die sie gegebenenfalls haben oder glaubten zu haben werden sie nun erkennen als das was sie sind: Hasenhörner. Die echte Übung zieht Problemen quasi den Boden unter den Füßen weg. Sie können sich nicht mehr ernähren, dick und fett werden sie gehen ein wie eine Pflanze aus Mangel an Flüssigkeit.
Kann "ich" ein Problem haben?
Als Huiko (Eka), der zweite chinesische Patriarch in jener Zeit, in der er noch
Hasenhörner sah, Bodhidharma bat seinen Geist zu beruhigen, sagte Bodhidharma:
"Bringe mir deinen Geist, damit ich ihn beruhigen kann."
Huiko sagte:
"Ich habe nach meinem Geist gesucht, aber ich kann ihn nicht finden."
Bodhidharma sagte:
"Ich habe deinen Geist beruhigt."
(Bodhidharma meinte damit: das gesamte Universum ist ein Hasenhorn. Weil das
so ist, gibt es in der realen Realität tatsächlich kein "Ich"
das "Du" sagen könnte und folglich war die Ursache von Huikos
"Unruhe" seine Unfähigkeit dies eine Hasenhorn zu sehen. Er sah
mindestens zwei: sich und Bodhidharma, wahrscheinlich sah er sogar noch mehr
Hasenhörner. Wir wissen nicht wer damals noch zugegen war. Huiko war jedenfalls
noch in der dualen Weltansicht verfangen, der Ansicht, die an existierende Objekte
außerhalb und unabhängig von sich selbst glaubt.)
Vielleicht werden sie nach der Erfahrung der unmittelbaren realen Realität
(Prajña) den Wunsch haben den leidenden Wesen ihre Hasenhörner aufzuzeigen,
um sie davon zu befreien. Das ist eine sehr subtile Arbeit und sie müssen
darauf Acht geben, daß sie nicht nur ein Hasenhorn gegen ein Anderes austauschen
und/oder zu den Gegenwärtigen Weitere hinzufügen.
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